Pflegebedürftigkeit, Demenz | Foto pexels.com | www.barrierefrei-magazin.at
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Pflegebedürftigkeit, Demenz und Unselbstständigkeit sowie Einsamkeit sind die größten Zukunftsängste der Menschen ab 60 in Österreich. Das ergab eine 2022 veröffentlichte Onlineumfrage des Instituts market unter 1.052 Menschen ab 15 Jahren im Auftrag von Silver Living, nach eigenen Angaben Marktführer im Bau frei finanzierter Seniorenwohnanlagen.

Nicht allein mögliche Krankheiten lösen bei den befragten Senioren Unbehagen aus. Jeder Zweite der 60- bis 69-Jährigen befürchtet, im Alter nur noch wenige Freunde und Bekannte zu haben, und jeder Dritte, partnerlos zu sein. Unter allen Befragten waren es 14 Prozent, die sich überzeugt gaben, im Alter einsam zu sein. Zwei Drittel haben Angst davor.

Beutelmeyer: Man isoliert sich in der Familie

Einsamkeit sei ein großes Thema, so Werner Beutelmayer von market . Das erkläre sich einerseits aus der Urbanisierung der Bevölkerung. Auf dem Land sehe die Einsamkeitsverteilung eben anders aus als in der Stadt. Es sei andererseits natürlich auch ein Phänomen des Alters.

Durch die Zunahme der Lebenserwartung sei Einsamkeit ein zentrales Thema in der Gesellschaft, so der market-Chef. Laut der Studie nimmt im Laufe des Lebens die Bedeutung von Freunden ab und jene von Partnerschaft und Familie zu. Doch auch das kann laut der Studie zu Einsamkeit führen. Da der Wunsch nach Familie an erster Stelle stehe, nehmen laut Beutelmeyer die sozialen Kontakte zur Umgebung ab. Man isoliere sich dadurch auch ein bisschen in der Familie, so Beutelmeyer.

Einsamkeit lässt auch andere Ängste steigen

Neben den jungen, urbanen, lebensfrohen Singles gebe es eben auch eine starke Singleisierung im Alter, so Beutelmeyer. Diese sei auch geprägt von der Einsamkeit und der großen Angst, eine schwere Erkrankung zu erleiden oder ein Pflegefall zu werden.

So findet sich denn auch bei 78 Prozent der befragten Menschen im Alter von 60 bis 69 Jahren unter den fünf größten Ängsten, im Alter ein Pflegefall zu sein. 75 Prozent nannten Angst vor schweren Erkrankungen, 62 Prozent Furcht vor Demenz und 61 Prozent die Angst, im Alter unselbstständig zu sein. Unter den über 70-Jährigen haben 89 Prozent Angst, ein Pflegefall zu werden, und 75 Prozent, schwer zu erkranken. 63 Prozent fürchten sich davor, an Demenz zu erkranken, und 59 Prozent, auf andere angewiesen zu sein.

„Horrorvision“ Pflegeheim

Die bevorzugte Wohnform für das Alter ist die Betreuung im eigenen Haus bzw. der eigenen Wohnung, sei es durch einen mobilen Pflegedienst, sei es durch die eigene Familie, so die Studie weiter. Betreutes Wohnen in speziell geschaffenen Wohnungen ist daher laut der Umfrage die einzige Alternative zur Betreuung zu Hause. In ein Pflegeheim wolle hingegen niemand übersiedeln. Wenn man in Umfragen den Begriff Pflegeheim nenne, ernte man null Prozent, so Beutelmeyer weiter über das Umfrageergebnis.

Das sei offenkundig die „Horrorvision“. Selbst bei dem Begriff Seniorenresidenz, der auch hochwertiger klinge, lande man nur bei ganz niedrigen Prozentsätzen. „Das ist nicht wirklich Wunschvorstellung. Das, was angeboten wird, will man eigentlich nicht“, so Beutelmeyer weiter.

Volksanwalt fordert Verbesserung bei Pflege daheim

Volksanwalt Günther Kräuter forderte am Dienstag unterdessen Verbesserungen bei der 24-Stunden-Betreuung Pflegebedürftiger zu Hause. In einer Pressekonferenz plädierte er für einheitliche Qualitätskriterien, verstärkte Kontrollen und eine bessere Finanzierung. Kräuter berichtete über Klagen an die Volksanwaltschaft, dass die 24-Stunden-Betreuung weitgehend ohne Kontrolle erfolge. Auch über mangelnde Qualifikation des Betreuungspersonals und Vernachlässigung bis hin zu Übergriffen werde berichtet.

Auf der anderen Seite würden aber auch die großteils weiblichen Pflegekräfte oft unter falschen Voraussetzungen nach Österreich gelockt und von den Agenturen ausgenutzt. Anja Silberbauer, Geschäftsführerin der Betreuungsfirma Harmony & Care GmbH, verwies bei der gemeinsamen Pressekonferenz auf einen Schwarzmarkt mit gefälschten Pflegezertifikaten, die eine Ausbildung bescheinigen, in Österreich aber nicht entsprechend kontrolliert werden.

763 Agenturen in Österreich tätig

Der Volksanwalt forderte verbindliche Qualitätskriterien für die derzeit 763 in Österreich tätigten Agenturen. Diese sollten etwa die Ausbildung, das Sprachniveau und die Arbeitsbedingungen regeln. Außerdem tritt Kräuter für intensivere Kontrollen ein. So sollte es auch unangekündigte Überprüfungen im Bereich der 24-Stunden-Betreuung geben, diese könnten auch von Hausärzten oder der Patientenanwaltschaft organisiert und an die Förderung und das Pflegegeld gekoppelt werden.

Auch den Pflegefonds würde der Volksanwalt an Qualitätskriterien knüpfen. Schließlich bekräftigte Kräuter auch die Forderung nach einer jährlichen Valorisierung des Pflegegeldes, das seit Einführung bereits einen Wertverlust von mehr als 30 Prozent erlitten hat.

Altersexperte für „Wohlfahrtsmix“

Um den Pflegebedürftigen einen besseren Überblick über die Agenturen und deren Angebote zu geben, traten sowohl Silberbauer als auch der Soziologe Franz Kolland für mehr Transparenz ein. Silberbauer plädierte für ein Ranking zur Bewertung mobiler Dienste und eine staatlich geführte Datenbank. Kolland betonte, dass Pflege und Betreuung nicht allein auf staatlicher Basis möglich seien. Der Altersexperte trat für einen „Wohlfahrtsmix“ ein, für ein Zusammenspiel von Staat, sozialen Dienstleistern und Unternehmen, den Angehörigen und den alten Menschen selbst.

Sowohl Silberbauer als auch Kolland plädierten für mehr Individualisierung, auf der Patienten- und auch auf der Betreuerseite. Die Menschen wollten sich ihre Wohn- und Betreuungsform aussuchen können. Kolland forderte eine weitere Differenzierung der Pflegeformen und den Ausbau alternativer Wohnformen.

Pensionistenverband will „Betreuungsführerschein“

Diakonie-Direktor Michael Chalupka forderte in einer Aussendung einen Umbau des Pflegesystems und seiner Finanzierung, um künftig finanzierbare und gute Pflege möglich zu machen. Neben Geldleistungen brauche es Investitionen in ein breiteres und größeres Dienstleistungsangebot, um die Pflegelücke tatsächlich zu schließen.

Der SPÖ-Pensionistenverband forderte in einer Aussendung einen verpflichtenden „Betreuungsführerschein“. Dieser solle die Lizenz für eine geförderte Beschäftigung in der 24-Stunden-Betreuung darstellen, meinte Generalsekretär Andreas Wohlmuth. Grundlage dafür solle der von Kolland ausgearbeitete Katalog von Qualitätskriterien sein. Die Kosten dieses Betreuungsführerscheins, der in Österreich zu absolvieren sei, sollten die Vermittlungsagenturen tragen.

Quelle: https://newsv2.orf.at/stories/2415745/2415746/index.html
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